„Also wirklich, Tinka! Was soll denn das heißen, vielleicht zwei Wochen früher? Weißt du, was das bedeutet? Das bedeutet Löwe statt Jungfrau! Wenn das so ist, musst du dich wirklich auf etwas gefasst machen. Das Kind Löwe und du Krebs, als ob das je passen könnte! Ich sehe da echt Probleme auf dich zu kommen, Liebes.“
Darf ich vorstellen: Ursel, meine Schwiegermutter. Voll in ihrem Element. Ich komme eben vom Frauenarzt, habe meine Mutter bei Kaffee und Kuchen auf der Terrasse sitzen und den Fehler gemacht, ans Telefon zu gehen. Ursel hat nichts Besseres zu tun, als meine Zukunft von der Konstellation irgendwelcher Sterne abhängig zu machen. Nicht, dass ich nichts für Astrologie übrig hätte, schließlich lese ich auch regelmäßig mein Horoskop. Ich finde es nett, beim Frühstück zu erfahren, dass mir im Laufe des Tages ein Brad Pitt-Mann über den Weg laufen wird, um mit mir wilden Sex im Fahrstuhl zu haben. Oder dass ich mir die heißersehnten High Heels, die ich kürzlich im Schaufenster entdeckt hab, schon sehr bald leisten kann. Aber Ursel nimmt diesen astrologischen Wetterdienst so richtig ernst, richtet ihr gesamtes Leben nach dem aus, was irgend so ein blasshäutiges Himpelmännchen aus den Sternen liest. Sie liebt einfach alles, was damit zu tun hat, von der sekundengenauen Aszendentenberechnung übers chinesische Horoskop bis hin zum Tarot, das uns mit tiefsinnigen Aussagen wie „Eine schwere Zeit liegt hinter Ihnen. Entscheidungen begleiten Sie weiterhin.“ zum Rätselraten auffordert. Entscheidungen begleiten einen doch jeden Tag und andauernd, um das zu wissen, brauch ich kein buntes Kärtchen: Aufstehen oder Weiterschlafen, Billig-Shampoo oder das Teure vom Friseur, Rock oder Hose. Ursel sieht das anders. Und zu beleuchten, wer unter welchem Sternzeichen mit wem wie zu leben (oder zu leiden) hat, ist ihre elementare Lebensaufgabe.
„Ursel, jetzt übertreib doch nicht. Erstens lebe ich nicht auf einer einsamen Insel, auf der ich für den Rest meiner Tage mit dem letzten Löwe-Mann auf Erden auskommen muss, hier geht es um mein Kind. Und zweitens: So schlimm sind Löwen ja nun auch wieder nicht.“ Sie tut ja geradeso, als wären alle Augustgeborenen eine ernstzunehmende Gefahr für die Zivilisation. Ein menschlicher Tsunami. Das Ozonloch der zwölf Tierkreiszeichen. „Tss, wenn Du wüsstest!“ zischt sie und legt einfach auf. Na super. Kann sie sich nicht einfach mal freuen? Sehe bildlich vor mir, wie sie umgehend den Notstand ausruft und alle ihre esoterischen Freundinnen zu einem Beratungsgespräch mit frisch aufgebrühtem Grüntee einlädt. Ich kann echt verstehen, dass der Hannes, Ursels Mann, immer so viele Überstunden macht. Das hält ja kein normaler Mensch aus – ob die immer schon so war und ihn damals nur wegen dem passenden Aszendenten genommen hat? Und er hat sich bestimmt auch noch geehrt gefühlt. Nicht, dass ich den Hannes nicht mögen würde, ganz im Gegenteil. Aber Löwe oder Jungfrau, ist mir doch echt egal!
Ich bin übrigens Katinka. Katinka Brinkmann. Ich bin im sechsten Monat schwanger und habe seit einem halben Jahrhundert meine Füße nicht mehr gesehen...