Eine Erzählung von und für Mamas

Freitag, 24. Juni 2011

Shopping Mum

8. Es ist Samstag. Genau genommen ist es mittlerweile Samstagmittag, was bekanntlichermaßen die absolute Horrorzeit für einen Stadtbummel ist. Um mich herum sehe ich nichts als Muster. Gerbera in Pink und Orange auf Senfgelb, braune Tupfen auf Unterhosen-Bleu, Batikfantasien in allen Farben des Regenbogens. Nein, ich bin nicht in der Teppich- und Tapetenabteilung von Karstadt gelandet, sondern auf der Suche nach neuen Umstandsklamotten. Stehe in der Mama-Abteilung eines von meiner aktuellen Schwangerschaftszeitschrift empfohlenden Mutter-und-Kind-Tempels und bin den Tränen verdammt nahe – so viel Geschmacklosigkeit auf einem Haufen hab ich echt noch nie gesehen. Die Hersteller dieser modischen Beleidungungen müssen der Ansicht sein, das schwangere Frauen vor lauter Gefühlsduselei nicht mehr klar geradeaus gucken können, ihren guten Geschmack gemeinsam mit der ersten Urinprobe beim Frauenarzt abgegeben haben und aufgrund des unproportional gestiegenen Hormonpegels total balla balla sind. Sorry, aber seit wann ist ein braunrot-kariertes Viermannzelt KLEIDSAM? Auch wenn ich mich so rein figurtechnisch langsam aber sicher den Ausmaßen eines Nilpferdes nähere, will ich doch noch lange nicht rumlaufen, wie eine Bühnenkulisse vom Musikantenstadl! Und bitte, welcher Teint erinnert in Senfgelb nicht an eine schlimme Magen-Darm-Infektion? Mal abgesehen davon, was eine Bilderbuchschwangere so in ihrem heimischen Garten trägt, müsste doch jede moderne Frau einen einigermaßen passablen Look beibehalten können. Auch ich sollte nicht unnötig Cassandras Launen mit der Zurschaustellung modisch absolut indiskutabler Outfits herausfordern, schließlich muss ich täglich Bianca-Fashion repräsentieren und wenigstens so tun, als ob ich über ein gewisses Modebewusstsein und das entsprechende Portemonaie für dessen Umsetzung verfügen würde (nein, Yvonne und ich bekommen selbstverständlich KEINE Outfits von der Firma gestellt!). Okay, okay, ganz ruhig, erstmal setzen und ein Schlückchen trinken – nicht, dass ich hier auch noch inmitten der aus Restbeständen und ohne Frage unter größtem Alkoholeinfluss zusammengeklöppelten „Kreationen“ zusammenklappe, man dehydriert ja so ungemein schnell! Vielleicht sollte ich doch nochmal rüber zu C&A gehen, angeblich haben die ja eine gar nicht ganz so schlechte Auswahl – behauptet jedenfalls Schwiegermutti Ursel. Und die weiß das wiederum von ihrer Nachbarin Gisela, deren Schwiegertochter erst kürzlich und ganz ohne PDA (hört, hört) ein propperes Söhnchen ans Tageslicht gepresst hat. Im Grunde reicht es ja eigentlich auch, wenn ich eine einigermaßen passable, am besten schwarze (macht schlank und passt zu allem) Hose ergattern würde, in der nicht nur mein Hintern, sondern auch mein stetig wachsendes Bäuchlein ausreichend Platz findet. Bis jetzt bin ich locker mit meinen normalen Hosen ausgekommen, habe einfach den obersten Knopf aufgelassen und die beiden Seitenteile mit einem Gummiband verbunden, damit mir die Buchse nicht mitten im Showroom bis an die Knöchel rutscht. Ein stylische Tunika von H&M obendrüber gezogen und das Ganze mit einer baumeligen Kette aus bunten Glasperlen und/oder einem frechen Gürtel aufgepeppt, und fertig war das perfekte Bauch-weg-geschummelt-Outfit. Doch so langsam aber sicher lässt sich dieser stramme Kugelbauch einfach nicht mehr in den normalen Hosen verstecken. Mal abgesehen davon, dass das Baby sich anscheinend ein richtig schmuckes Penthouse einrichtet und meine Taille einfach mit in Beschlag nimmt. Beim Sitzen kneift mittlerweile nämlich auch ein noch so großzügig mit Gummibändern erweiterter Bund, und wenn ich den Reißverschluss auch nur einen Milimeter weiter auflasse, können Hinz und Kunz in der Fußgängerzone schon von weitem das Muster meines Schlüpfers bewundern! Nein, ich komme um eine Umstandshose mit praktischem Elastikbund echt nicht mehr herum. Am besten, ich bestelle Laura zur Beratung dazu. Sie drängt ja sowieso schon seit Wochen darauf, mir als persönliche Einkaufsberaterin zur Seite zu stehen. „Du, ich war jetzt grad beim Yoga, aber ich kann gerne zu dir in die City kommen!“ hechelt Laura in ihr Handy. Ist wohl mal wieder mit dem Rad unterwegs. Bei soviel Elan und Sportlichkeit sinkt meine ohnehin schon überaus schlechte Laune gleich noch ein Stück weiter ins Untergeschoss. Scheiße, wenn man nicht in der richtigen Stimmung ist, sollte man ja eigentlich gar nicht erst Shoppen gehen. Weiß man ja. Da landen entweder ausschließlich Teile in den Einkaufstüten, die man eh schon en masse zu Hause im Schrank hängen hat (bei mir sind das immerwieder Strickjacken in Schwarz oder Hellgrau. Und weiße Blusen). Oder man bildet sich ein, just heute mal was ganz Verrücktes ausprobieren zu müssen und greift zielsicher zu dem ausgefallendsten Teil, das zu finden ist und das – wäre man heute nicht zufällig vorbeigekommen – garantiert als Restposten auf dem Grabbeltisch geendet wäre. Zu Hause angekommen, stellt man dann meistens fest, dass man von dem Mustermix/der Farbe/dem Schnitt fast ohnmächtig wird oder aber das Fähnchen beim besten Willen hinten und vorne nicht passt. Klassische Fehlkauflaune also. Wie sich die wohl im Zusammspiel mit Schwangerschaft äußert? Am besten, ich verlasse diesen Stuhl in der wildgemusterten Mama-Abteilung erst gar nicht, bevor Laura da ist. Sicher ist sicher. Und so schlimm, dass ich auf die absurde Idee käme, mein Geld an Ort und Stelle in eine Sesselhussen ähnliche Tunika mit tellergroßem Sonnenblumenmuster zu investieren, steht es um mich Gott sei dank ja noch nicht.

Als Laura endlich auftaucht, döse ich so vor mich hin und zähle die Fusseln auf dem ehemals hellbeigen Teppichboden vor mir. „Was ist denn DAS?“ kreischt sie entsetzt los, als sie schräg hinter mir die an Seidenmalerei erinnernde Bluse Modell „Veronika“ entdeckt. „Oh mein Gott“, murmelt sie betroffen als sie sich im Laden umsieht und zieht mich hastig raus auf die Straße, zurück ins Leben. „Hör mal Süße, da gehst du mir nie wieder rein, hörst du? Selbst, wenn man vorher noch gut drauf war, holt man sich da ja mindestens eine mittelschwere Depression! Dass die da auch noch GELD für verlangen dürfen!“ Und dann müssen wir beide so anfangen zu lachen, dass ich mir fast ein paar Troppen in die Hose piesle. „Und ich dachte schon, es liegt an mir und meiner miesen Laune“, keuche ich erleichtert. „Miese Laune? Na komm, das ändern wir sofort. Erstmal gönnen wir uns jetzt ein sündhaft dickes Eis und dann finden wir ein paar heiße Klamotten für dich, versprochen!“ Ach Marie ist ein Schatz, es tut ja so gut, eine liebe Freundin zu haben. Und die Umstandsabteilung bei C&A erweist sich tatsächlich als gar nicht so übel, schönen Gruß an Ursels Nachbarin. Klar, auch hier haben sich die ein oder anderen Blumenbouquets auf zeltähnliche Textilien verirrt, aber grundsätzlich finden sich auch wirklich nette Teilchen dazwischen. Ein Babydoll-Kleid in Altrosa mit süßer bourdeauxroter Spitze am Dekolleté, zwei langärmelige Stretchshirts mit Cache-Coeur-Ausschnitt sowie ein knieumspielender (ha!) Rock mit elastischem Gummibund habe ich mir bereits gesichert und an der Kasse hinterlegt. Fehlt nur noch die besagte Hose. Und obwohl es eine relativ große Auswahl gibt, stellt sich die Hosenfrage als problematischer heraus, als erwartet. Denn Schwangerschaftshosen fangen im Grund erst da so richtig an, wo andere Hosen aufhören. Damit das Bündchen den kostbaren Bauchbewohner nicht einschnürt, hört der eigentliche Hosenstoff (Stretch, Jeans oder was weiß ich) auf Schlüpferhöhe auf. Und dann, ja dann folgt erst der eigentliche Gag an der ganzen Sache: Im Hosenbund ist sozusagen ein riiiiiesen Wollstrumpf festgenäht, der je nach Schwangerschaftsmonat ungefähr bis kurz unter den Busen oder auf Nabelhöhe reicht. Soll die Hose vorm Absturz bewahren und den Bauch schön warm halten. Die Idee an sich ist ja nicht verkehrt, aber alleine die Vorstellung von diesem wollenden Stretchriesendings um meinen Bauch... und das auch noch im HOCHSOMMER. Außerdem – und das finde ich fast noch schlimmer – passt mir keine von diesen strumpfigen Hosen. An den Beinen schön eng (hatte da eine ganz süße Jeans in der engeren Auswahl), schlabbert mir oben dieses Strumpfteil total gelangweilt irgendwo unter den Achseln rum, weil mein Bauch noch nicht dick genug ist. „Und wenn du die erst später kaufst?“ überlegt Marie tapfer, „in zwei Monaten müsstest du dann doch eigentlich reinpassen.“ Aber in zwei Monaten passt dann unten mein Hintern wahrscheinlich nicht mehr rein. Das komische an einer Schwangerschaft ist ja, dass sich der Körper in die ungeahntesten Richtungen völlig unkontrolliert ausdehnt. Von einen Tag auf den anderen hast du plötzlich Oberarme wie Cindy aus Marzahn. Und wo gestern noch ein disziplinierter Taillenansatz war, herrscht heute Anarchie. Nee, so in die ungewisse Zukunft hineinkaufen, das trau ich mir jetzt nicht. Also weitersuchen. Nach einigem Hin und Her entscheiden wir uns für eine schwarze Stretchhose, die untenrum eigentlich genauso aussieht, wie die Modelle die ich seit Jahren trage, nur dass sie oben am Bündchen „mitwachsen“ kann. Gott sei dank hat sie nicht so eine schlimme Wollsocke obendran, sondern lässt sich mit Hilfe von fünf Knöpfen auf jeder Seite und einem zusätzlichem Gummizug ganz nach Belieben dem jeweiligen Bauchumfang anpassen. Toll, die nehmen wir! „Hat sie auch Taschen am Po? Du darfst nie, NIEMALS, Stretchhosen ohne Taschen am Po kaufen! Das hat sogar Cameron Diaz eine Negativschlagzeile eingebracht. Steht einfach keinem.“ bekräftigt Laura. Die Wunderhose weist tatsächlich zwei nette Taschen am Hintern auf und somit verlassen wir erschöpft aber glücklich nach gefühlten fünf Stunden die Mutti-Abteilung von C&A. Mann, jetzt bin ich aber auch echt fertig. Nix wie nach Hause und hoch mit den geschwollenen Füßen. Offensichtlich hat Laura für heute auch genug vom Shoppen, denn sie würdigt das Schaufenster von Mango keines Blickes. Stattdessen kommt sie noch auf ein Gläschen Eistee mit zu mir, denn sie will mir noch irgendeine weltbewegende Neuigkeit von ihrem Schätzchen, dem Gregor, erzählen.

7. Dr. Brinkmann

Es war meine Examensparty. Der ganze Jahrgang, sämtliche Mitbewohner, Lover und Gaststudenten feierten in der mit Büchertausch- und Mitbewohnersuchzetteln tapezierten Cafeteria unseres Instituts. Für das Büffett hatten wir selbst gesorgt. Es bestand aus einer unglaublich süßen Bowle, in der mindestens je zwei Flaschen Rum, Cola und Sekt versenkt worden waren, jede Menge Dr. Oetker-Kuchen, Chips und Erdnussflips, Negerküssen und vier bis zehn Kisten Bier von Aldi – so genau kann ich das jetzt nicht mehr sagen. Ich weiß nicht, ob es die Kirschkerne in der Bowle oder die Mischung von Negerküssen, Wienerle und Erdnussflips war, aber kurz nach Mitternacht spielte mein Verdauungstrakt verrückt. Erst dachte ich, es wären typisch weibliche Krämpfe, kennt man ja, so unten rechts. Deswegen genehmigte ich mir noch einen Becher Bowle – Alkohol soll ja ungemein entspannend wirken! Leider fand ich mich bald gekrümmt zwischen den klebrigen Plastikhockern wieder, konnte vor Schmerz kaum noch sprechen und registrierte noch dazu aufsteigende Übelkeit. Im Rausch hab ich dann ehrlich gesagt nicht mehr viel mitgekriegt. Irgendwie haben es meine alkoholisierten Partykollegen geschafft, einen Krankenwagen zu rufen. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, registrierte ich einen richtig miesen Kater – so mies, dass ich nicht glauben konnte, was ich um mich herum sah: Einen dünnen Schlauch im rechten Handrücken, ein dazugehöriger Tropf, der an einer Art Garderobenständer am Kopfende meines zartgelb getupften Bettes baumelte, das gar nicht mein Bett war. Mein Bauch spannte immernoch wie verrückt. Ein gezielter Blick unter die Bettdecke verriet zweierlei. Erstens: Ich war total nackt (und nur so mittelgut rasiert). Und Zweitens: Ich hatte in dreieckiger Anordnung weiße Pflaster unterhalb des Nabels kleben und einen Bauchumfang wie Rainer Calmund. Dann eine mir bekannte gelangweilte Stimme: „Hallo Schatz, ist alles in Ordnung. Es war der Blinddarm.“ Neben dem Bett saß meine Mutter auf einem senfgelben Plastikhöckerchen, blätterte in der aktuellen Vogue und tätschelte ohne aufzusehen meine zartgelb getupft bedeckten Füße. Bevor ich irgendetwas sagen konnte, ging die Zimmertür auf und ein ganzer Schwarm von Weißkitteln kam hereinmarschiert. Wie beim Käptn’s Dinner auf dem Traumschiff. Aber statt Torte wedelten einige der Herren bloß mit Klemmbrettern oder Zetteln, zwei hatten ein Stetoskop und einer noch den papiernen Mundschutz vom OP am Hals baumeln. „So, dann wollen wir doch mal sehen!“ sprach der vorderste mit merkwürdig tiefer Stimme und zog mir mit einem Rapsch die Bettdecke weg. Ich hab geglotzt wie schockgefrostet. Schließlich lag ich total nackig da, mit einer Frisur wie ein geölter Haubentaucher und einem Geschmack im Mund, als hätte ich die ganze Nacht an einer siffigen Wolldecke genuckelt. So hilflos kam ich mir vor wie zwölf. „Na, das sieht doch prima aus! Die Herrschaften da hinten mal nicht so schüchtern, kommen sie ruhig näher. Und Sie wechseln bitte die Pflaster“, ordnete der Obermufti an und deutete mit dem Bügel des goldenen Brillengestells, auf dem er ständig herum kaute, auf den Weißkittel mit dem Mundschutz. „Guten Morgen, Brinkmann mein Name“, stellte dieser sich etwas kleinlaut vor und begann sogleich, an meinen Pflastern rumzufummeln. Brinkmann? Wollen die mich hier verarschen? Ich meine, so einen beschissenen Kater hatte ich ja echt noch nie! „Gut, gut, wir gehen dann schonmal in die Achtzehn!“ verabschiedete sich der Käptn und scheuchte seine Schäfchen weiter ins Nebenzimmer. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie sich meine Mutter ihr Dekolleté zurechtzupfte, irgendetwas faselte und ohne sich von mir zuverabschieden hinter dem Goldbrillenmann herwackelte. Mir wurde klar, dass es sich hier wohl doch um die Realität handeln musste. „Der Blinddarm wurde Ihnen endoskopisch entfernt, also durch drei kleine Einschnitte und mit Hilfe einer winzigen Kamera“, nuschelte der an meiner Bettkante zurück gelassene Dr. Brinkmann in meine Muschi. „Es werden nur winzigkleine Narben zurückbleiben. Allerdings muss die Bauchhöhle bei dieser Methode mit Luft aufgeblasen werden, ähnlich wie ein Luftballon, daher das Spannungsgefühl. Wenn Sie sich in den nächsten Tagen ausreichend bewegen und viel trinken, wird die Luft jedoch schnell entweichen,“ sprach der OP-Mann weiter und drehte sich zu mir um. Gott, was hatte ich bloß getrunken? Und was war in diesem Tropf? Ich hätte schwören können, dass der Herr Brinkmann hier aussah wie mein sexy Surferboy aus Ibiza! Aber in meinem zugegebenermaßen optisch nicht viel hermachenden Zustand und vor allem, nachdem dieser gutaussehende Jungarzt soeben die Lockenpracht meiner zugewucherten Bikinizone studiert hatte, brachte ich weiß Gott nicht den Mut auf, einen auf „Hey, ich kenn dich doch!“ zu machen. Und wie ich so paralysiert dem Arzt ins Gesicht glotzte, passierte es: Ein großer Schub Luft entwich aus meinem Bauch. Na super, ich treffe meine große Liebe wieder und furze wie ein Bauarbeiter! Dr. Brinkmann drehte sich abrupt weg und verließ den Raum, ward erstmal nicht wieder gesehen. Nachdem ich den ersten Schock überstanden, Restalkohol (nie wieder Bowle!) und Narkose (Drogen!) ausgedampft und den ganzen restlichen Tag verschlafen hatte, fühlte ich mich stark genug für eine Ganzkörperreinigung und stieg mit Hilfe einer Schwester in die winzige 70er Jahre-Dusche. Mit apfel-duftigen Haaren (meine Mutter hatte mir eine komplett neue Kosmetikausstattung beim Drogeriemarkt um die Ecke besorgt) und dem eigenen Nachthemd am Leib fühlte ich mich wieder richtig frisch. Ich nahm all meinen Mut zusammen und fragte die nette Schwester über das mir soeben kredenzte Tablett mit Wellblechbrotscheibe, Schlabbergürkchen und Gummikäse hinweg über die bahandelnden Ärzte im Allgemeinen und Dr. Brinkmann im Speziellen aus. Wie ich erfuhr, war er seit gut einem Jahr Nachwuchschirurg in der Klinik und als solcher bei meiner OP dabei gewesen, so so. Stammte ursprünglich aus Hamburg und war eben jetzt in München. „Und er ist der absolute Schwarm im Schwesternzimmer“, kicherte sie. „Abwarten“, dachte ich, und stellte meinen Wecker auf 6 Uhr, damit mir vor der nächsten Visite Zeit für in kleines Beautyprogramm blieb. Frisch gewaschen und gebügelt erwartete ich am nächsten Morgen das Käptn’s Dinner und begrüßte die Crew mit einem leicht wimpernbetuschten, lipglossigen Lächeln in zartrosé (Nude-Look!). Dieses Mal war es der Herr Jungdoktor persönlich, der einen Pflasterwechsel anbot und emsig an meiner Südseite zu nesteln begann. Und ja, ich hatte mich nicht geirrt. Bei näherer Betrachtung (Hände, Haaransatz, süße Ohrläppchen) war klar: Das ist mein Surferboy! Um mich war es erneut geschehen. Dr. Brinkmann schien mich wohl auch wiedererkannt zu haben, schaute von da an regelmäßig in meinem Zimmer vorbei und entließ mich erst, als er mich zu einem Date überedet hatte. Nicht, dass es da viel zu überreden gegeben hätte! Aber frau soll sich ja selten machen, nicht leicht zu haben und immer quasi auf dem Sprung sein – auch wenn sie in Wahrheit natürlich längst nur auf einem Sprung, und zwar auf dem in seine Laken ist und gedanklich bereits ein dafür geeignetes Dessous-Ensemble ausgewählt hat! Aus dem einen Date wurden viele und der damalige Sommer mein absoluter Lieblingssommer. Und weil ich am 25. Mai auf Ingos OP-Tisch gelandet war, feiern wir seit dem jetzt immer an diesem Datum unseren Wiedergefundentag. Ich hatte ihn übrigens bereits bei unserem ersten Date wegen seines mistigen Abgangs in Ibiza zum absoluten Arschloch erklärt und ihm mitgeteilt, auch ich hätte keine Sekunde mit dem Gedanken gespielt, dass diese Nacht am Strand auch nur im Ansatz eine Nuance von etwas Besonderem gehabt hätte. Schließlich erlebt man als attraktive Blondine (ahahahahaha, als ob ich mich je so sehen würde!) soetwas ja alle Tage, ha! Ha ha! Doch anstatt, dass er auf die billige Ebene einsteigen und mit einem Cool Water-triefenden Macho-Spruch à la „Hey Babe, ein Genießer geht eben dann, wenn’s am Schönsten ist“ kontern würde, sah er nur schweigend in seinen halbvollen Bierkrug und begann dann mit seiner Version vom mistigen Abgang. Er war damals mit Kumpels nach Ibiza geflogen und musste seinen bescheuerten besten Freund das ganze Wochenende auf dessen noch bescheuerteren Junggesellen-Abschieds-Sauftour durch sämtliche Strandbars und Sangria-Eimer begleiten. Als er die nächsten Tage immer wieder das gesamte Arial der Clubanlage vergeblich nach mir abgesucht hatte, ging er in guten Momenten davon aus, dass ich schon abgereist war, aber trotzdem wie er von einem baldigen Wiedertreffen träumen würde. War ich ja auch, tat ich ja auch! Aber er wusste ja nicht, wie ich hieß. Und ich wusste ja nicht, wie er hieß! An weniger rosaroten und sich mit der Zeit häufenden Tagen sah er allerdings der realistischeren Möglichkeit, dass ich ein oberflächliches Partyluder gewesen war, nur mit ihm gespielt und ihn längst vergessen hatte, ins Auge. Er hatte nach der Rückkehr von Ibiza zwei Prüfungen seines Medizinstudiums in den Sand gesetzt. Spätestens da sah ich mich gedanklich bereits im Brautkleid.

6. Souvenir aus Ibiza

Als ich am Abend total geschafft von einem nicht enden wollenden Tag im Showroom in unsere Vier-Zimmer-Erdgeschoss-Wohnung mit Gartenanteil komme, erwartet Ingo mich schon. Er hält mir einen Strauß vanillefarbende Rosen unter die Nase und knutscht mich ab. Kommt mir hier irgendwie Spanisch vor alles. „Los los, wir sind schon spät dran, der Tisch ist doch auf halb acht reserviert!“ Ach Du heiliger Fred, heut ist unser Wiedergefundentag! Scheiße, den hab ich total vergessen. Die Rosen sind echt schön, so flauschig. Und ich hab nicht mal Ingos Lieblingsschokolade im Haus. „Ach, Zuckerchen, du hast unser Date bei all der Hektik vergessen, oder? Ist doch nicht schlimm. Komm jetzt, die beste Pasta der Stadt wartet auf dich!“ tröstet mich der Mann und schiebt mich aus dem Haus. Er steht zwar total auf Jahrestage und sowas, ist aber Gott sei Dank nicht wochenlang beleidigt, wenn man diese Begeisterung nicht teilt. Wir zelebrieren (auf seinen Wunsch) neben Geburtstag und Weihnachten außerdem den Wiedergefunden-, den Verlobungs- und natürlich den Hochzeitstag. Mir persönlich ist das ja ein bisschen übertrieben, aber gut. Einen richtigen Kennenlerntag haben wir nicht (sehr zu Ingos Bedauern), denn wir haben uns einmal kurz getroffen, dann ewig nicht gesehen und sind uns dann per Zufall wieder über den Weg gelaufen. Und uns dann eigentlich erst richtig kennen gelernt und verliebt.
Hmm, ach wenn ich so zurück denke: Toll sah er damals aus! Die Haare von der Sonne surfermäßig aufgehellt, Dreitagebart und gesund gebräunte Haut. Als ob der grad von einer Weltumsegelung kommt. Nicht, dass er heute nicht mehr gut aussehen würde. Aber neben einem Vollzeitjob bleibt halt nicht mehr viel Zeit für Muckibude und Strandurlaub. Es passierte vor fünf Jahren im Punta-Arabi-Club auf Ibiza. Doro und ich waren kurzentschlossen für zwei Wochen dem Uni-Stress entflohen und per Last Minute in den Süden geflogen. Sie hatte mich am Nachmittag heulend und fluchend angerufen, weil sie ihren damaligen Lover (einen Lehrer) mit einer anderen (einer Schülerin) knutschend in der Stadt gesehen hatte. Noch am selben Abend saßen wir im Flieger. Wir haben uns die Nächte mit bunten Cocktails und viel schlechter Musik um die Ohren geschlagen, um tagsüber im Halbschatten eines Sonnenschirmes mit einem Monsterkater dahinzudämmern und abends erneut in einer Schaumparty zu versinken. Seit Ibiza weiß ich übrigens auch, was der Ausdruck „Urlaub vom Ich“ bedeutet. Schließlich würde man in seiner alltäglichen Umgebung nie (NIEMALS) auf die Idee kommen, sich a) nur mit einem winzigen Triangel-Bikini bekleidet in eine Disko mit Neonlicht zu begeben b) dort inmitten von seifigen Schaumbergen das Gegrapsche pickliger Teenies aus dem Ruhrpott zu erdulden und c) mit einem wildfremden – wenn auch gutaussehenden – Mann um 4 Uhr morgens alleine an den Strand zu gehen. Doro war mal wieder mit irgendeinem Kalle, Olli oder Mike Lambada tanzend in den Schaumbergen verschwunden, als ich mich halbverdurstet auf den glitschigen Weg zur Bar machte. Nachdem ich schon seit dem späten Nachmittag von aufmerksamen Clubanimateuren mit Sangria und Caipirinha versorgt worden war, war meine Trittfestigkeit weit nach Mitternacht natürlich nicht mehr die beste. Nur ein starker Griff um meine Taille rettete mich vor dem Ganzkörperkontakt mit dem Parkett. „Schön getanzt“, grinste mich mein Retter frech an, „willst du schon gehen?“ Natürlich wollte ich das nicht. Oder wenn, dann nur mit ihm. Ich setzte also umgehend das sexiestes Lächeln auf, das ich in meinem Zustand noch hinbekam, und ließ mich von Mister Surferboy erst zu einer herrlich-kühlen Cola und dann zu einem romantischen Spaziergang an den Strand einladen. Dass ich in dieser Nacht das berauschendste Sexerlebnis meines Lebens hatte, trau ich mich kaum zu sagen. Wenn andere das machen, schäme ich mich immer in Grund und Boden. Klingt so billig irgendwie. Aber es war wirklich einfach perfekt. Alles stimmte: sein Lächeln, seine nach Sonne und Après Creme duftende Haut, die Mittelmeer-Kulisse. Als ich schließlich in mein Hotelzimmer wankte, lag Doro schnarchend und noch in ihrem Partydress auf dem Bett. Aber ich war, obwohl es draußen mittlerweile hell wurde, alles andere als müde. Gleichzeitig benommen und voller Kribbeln setzte ich mich auf die verfilzte Couch und guckte Löcher in die Luft. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die vergangenen zwei Stunden wirklich mir passiert waren.
Am nächsten Tag ging unser Flug zurück in die Zivilisation – was im Grunde auch gut so war, denn weder mein Portemonnaie noch meine Leber hätte auch nur einen weiteren Partyabend überstanden. Außerdem hatte ich keine Lust mehr, da zu bleiben. Mein Surferboy hatte sich den ganzen Vormittag nicht blicken gelassen – und mein Himmel-hoch-jauchzend war seit spätestens dem dritten Espresso zu einem zu-Tode-betrübt geworden. Offensichtlich war für ihn die Nacht alles andere als besonders und ich nur eine weitere blondblöde Trophäe seiner Jagdzüge gewesen. Also nichts wie ab nach Hause.
Nachdem Doro und Marie mich vier Wochen lang erfolgreich von meinem Selbstmitleid abgelenkt hatten, stürzte ich mich in meinen normalen Alltagstrott aus Studium und Kellnerei, wurde zum Stammgast in der Staatsbibliothek und hatte wohl nie wieder so gute Noten in den Seminararbeiten, wie in diesem Semester. Doros Lehrerlover war übrigens in den zwei Wochen, die wir uns auf Ibiza durch die Cocktailkarten sämtlicher Bars getrunken hatten, wegen der Liebelei mit einer Schülerin von der Schule geflogen. Von seiner minderjährigen Gespielin (bzw. deren Eltern) vor die Tür gesetzt, gammelte er mit Dackelblick und Dreitagebart stundenlang vor Doros Wohnung herum und bettelte um eine zweite Chance. Ein schlimmer Anblick. Ich glaube, dass sich in dieser Zeit auch Doros abgekühlte Einstellung zu Männern entwickelt hat.

„Woran denkst du gerade, Hase? Ist alles in Ordnung?“ Ingo schaut besorgt auf meinen Teller. Sonst lass ich das Tiramisu nicht so einfach links liegen, sondern löffle es weg, als würde jemand die Zeit stoppen. Heute haben ich mit der Gabel lustige Muster in die braun-weiße Masse gemalt. Witzig, die unterste Schicht sinkt gar nicht ein, wenn man sie als Krönchen oben draufsetzt. „Ach, mir ist das heute irgendwie zu schaumig. Meinst du, die haben auch Eis mit Erdbeeren?“ lächle ich Ingo aufmunternd zu. Dass Tiramisu laut Schwangerschaftsernährung in die Rubrik „böse“ gehört, mag ich jetzt nicht sagen, nachdem Ingo so lieb war, einfach für mich mitzubestellen. Ganz der perfekte schwangere Partner beschafft mir im Handumdrehen frische Erdbeeren auf drei frostigleckeren Eiskugeln aus Luigis Küche. Ohne Sahne natürlich, denn von der wird mir schon beim bloßen Anblick ganz anders. „Du bist ein Schatz, danke!“ Beide aus einer Schale löffelnd plaudern wir weiter. Ingo berichtet von einer komplizierten Blinddarm-OP, die ihn heute um ein Haar seinen Feierabend gekostet hätte. „Na, wenn das nicht super zum heutigen Datum passt“, grinse ich und drücke seine Hand.