Eine Erzählung von und für Mamas

Freitag, 24. Juni 2011

7. Dr. Brinkmann

Es war meine Examensparty. Der ganze Jahrgang, sämtliche Mitbewohner, Lover und Gaststudenten feierten in der mit Büchertausch- und Mitbewohnersuchzetteln tapezierten Cafeteria unseres Instituts. Für das Büffett hatten wir selbst gesorgt. Es bestand aus einer unglaublich süßen Bowle, in der mindestens je zwei Flaschen Rum, Cola und Sekt versenkt worden waren, jede Menge Dr. Oetker-Kuchen, Chips und Erdnussflips, Negerküssen und vier bis zehn Kisten Bier von Aldi – so genau kann ich das jetzt nicht mehr sagen. Ich weiß nicht, ob es die Kirschkerne in der Bowle oder die Mischung von Negerküssen, Wienerle und Erdnussflips war, aber kurz nach Mitternacht spielte mein Verdauungstrakt verrückt. Erst dachte ich, es wären typisch weibliche Krämpfe, kennt man ja, so unten rechts. Deswegen genehmigte ich mir noch einen Becher Bowle – Alkohol soll ja ungemein entspannend wirken! Leider fand ich mich bald gekrümmt zwischen den klebrigen Plastikhockern wieder, konnte vor Schmerz kaum noch sprechen und registrierte noch dazu aufsteigende Übelkeit. Im Rausch hab ich dann ehrlich gesagt nicht mehr viel mitgekriegt. Irgendwie haben es meine alkoholisierten Partykollegen geschafft, einen Krankenwagen zu rufen. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, registrierte ich einen richtig miesen Kater – so mies, dass ich nicht glauben konnte, was ich um mich herum sah: Einen dünnen Schlauch im rechten Handrücken, ein dazugehöriger Tropf, der an einer Art Garderobenständer am Kopfende meines zartgelb getupften Bettes baumelte, das gar nicht mein Bett war. Mein Bauch spannte immernoch wie verrückt. Ein gezielter Blick unter die Bettdecke verriet zweierlei. Erstens: Ich war total nackt (und nur so mittelgut rasiert). Und Zweitens: Ich hatte in dreieckiger Anordnung weiße Pflaster unterhalb des Nabels kleben und einen Bauchumfang wie Rainer Calmund. Dann eine mir bekannte gelangweilte Stimme: „Hallo Schatz, ist alles in Ordnung. Es war der Blinddarm.“ Neben dem Bett saß meine Mutter auf einem senfgelben Plastikhöckerchen, blätterte in der aktuellen Vogue und tätschelte ohne aufzusehen meine zartgelb getupft bedeckten Füße. Bevor ich irgendetwas sagen konnte, ging die Zimmertür auf und ein ganzer Schwarm von Weißkitteln kam hereinmarschiert. Wie beim Käptn’s Dinner auf dem Traumschiff. Aber statt Torte wedelten einige der Herren bloß mit Klemmbrettern oder Zetteln, zwei hatten ein Stetoskop und einer noch den papiernen Mundschutz vom OP am Hals baumeln. „So, dann wollen wir doch mal sehen!“ sprach der vorderste mit merkwürdig tiefer Stimme und zog mir mit einem Rapsch die Bettdecke weg. Ich hab geglotzt wie schockgefrostet. Schließlich lag ich total nackig da, mit einer Frisur wie ein geölter Haubentaucher und einem Geschmack im Mund, als hätte ich die ganze Nacht an einer siffigen Wolldecke genuckelt. So hilflos kam ich mir vor wie zwölf. „Na, das sieht doch prima aus! Die Herrschaften da hinten mal nicht so schüchtern, kommen sie ruhig näher. Und Sie wechseln bitte die Pflaster“, ordnete der Obermufti an und deutete mit dem Bügel des goldenen Brillengestells, auf dem er ständig herum kaute, auf den Weißkittel mit dem Mundschutz. „Guten Morgen, Brinkmann mein Name“, stellte dieser sich etwas kleinlaut vor und begann sogleich, an meinen Pflastern rumzufummeln. Brinkmann? Wollen die mich hier verarschen? Ich meine, so einen beschissenen Kater hatte ich ja echt noch nie! „Gut, gut, wir gehen dann schonmal in die Achtzehn!“ verabschiedete sich der Käptn und scheuchte seine Schäfchen weiter ins Nebenzimmer. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie sich meine Mutter ihr Dekolleté zurechtzupfte, irgendetwas faselte und ohne sich von mir zuverabschieden hinter dem Goldbrillenmann herwackelte. Mir wurde klar, dass es sich hier wohl doch um die Realität handeln musste. „Der Blinddarm wurde Ihnen endoskopisch entfernt, also durch drei kleine Einschnitte und mit Hilfe einer winzigen Kamera“, nuschelte der an meiner Bettkante zurück gelassene Dr. Brinkmann in meine Muschi. „Es werden nur winzigkleine Narben zurückbleiben. Allerdings muss die Bauchhöhle bei dieser Methode mit Luft aufgeblasen werden, ähnlich wie ein Luftballon, daher das Spannungsgefühl. Wenn Sie sich in den nächsten Tagen ausreichend bewegen und viel trinken, wird die Luft jedoch schnell entweichen,“ sprach der OP-Mann weiter und drehte sich zu mir um. Gott, was hatte ich bloß getrunken? Und was war in diesem Tropf? Ich hätte schwören können, dass der Herr Brinkmann hier aussah wie mein sexy Surferboy aus Ibiza! Aber in meinem zugegebenermaßen optisch nicht viel hermachenden Zustand und vor allem, nachdem dieser gutaussehende Jungarzt soeben die Lockenpracht meiner zugewucherten Bikinizone studiert hatte, brachte ich weiß Gott nicht den Mut auf, einen auf „Hey, ich kenn dich doch!“ zu machen. Und wie ich so paralysiert dem Arzt ins Gesicht glotzte, passierte es: Ein großer Schub Luft entwich aus meinem Bauch. Na super, ich treffe meine große Liebe wieder und furze wie ein Bauarbeiter! Dr. Brinkmann drehte sich abrupt weg und verließ den Raum, ward erstmal nicht wieder gesehen. Nachdem ich den ersten Schock überstanden, Restalkohol (nie wieder Bowle!) und Narkose (Drogen!) ausgedampft und den ganzen restlichen Tag verschlafen hatte, fühlte ich mich stark genug für eine Ganzkörperreinigung und stieg mit Hilfe einer Schwester in die winzige 70er Jahre-Dusche. Mit apfel-duftigen Haaren (meine Mutter hatte mir eine komplett neue Kosmetikausstattung beim Drogeriemarkt um die Ecke besorgt) und dem eigenen Nachthemd am Leib fühlte ich mich wieder richtig frisch. Ich nahm all meinen Mut zusammen und fragte die nette Schwester über das mir soeben kredenzte Tablett mit Wellblechbrotscheibe, Schlabbergürkchen und Gummikäse hinweg über die bahandelnden Ärzte im Allgemeinen und Dr. Brinkmann im Speziellen aus. Wie ich erfuhr, war er seit gut einem Jahr Nachwuchschirurg in der Klinik und als solcher bei meiner OP dabei gewesen, so so. Stammte ursprünglich aus Hamburg und war eben jetzt in München. „Und er ist der absolute Schwarm im Schwesternzimmer“, kicherte sie. „Abwarten“, dachte ich, und stellte meinen Wecker auf 6 Uhr, damit mir vor der nächsten Visite Zeit für in kleines Beautyprogramm blieb. Frisch gewaschen und gebügelt erwartete ich am nächsten Morgen das Käptn’s Dinner und begrüßte die Crew mit einem leicht wimpernbetuschten, lipglossigen Lächeln in zartrosé (Nude-Look!). Dieses Mal war es der Herr Jungdoktor persönlich, der einen Pflasterwechsel anbot und emsig an meiner Südseite zu nesteln begann. Und ja, ich hatte mich nicht geirrt. Bei näherer Betrachtung (Hände, Haaransatz, süße Ohrläppchen) war klar: Das ist mein Surferboy! Um mich war es erneut geschehen. Dr. Brinkmann schien mich wohl auch wiedererkannt zu haben, schaute von da an regelmäßig in meinem Zimmer vorbei und entließ mich erst, als er mich zu einem Date überedet hatte. Nicht, dass es da viel zu überreden gegeben hätte! Aber frau soll sich ja selten machen, nicht leicht zu haben und immer quasi auf dem Sprung sein – auch wenn sie in Wahrheit natürlich längst nur auf einem Sprung, und zwar auf dem in seine Laken ist und gedanklich bereits ein dafür geeignetes Dessous-Ensemble ausgewählt hat! Aus dem einen Date wurden viele und der damalige Sommer mein absoluter Lieblingssommer. Und weil ich am 25. Mai auf Ingos OP-Tisch gelandet war, feiern wir seit dem jetzt immer an diesem Datum unseren Wiedergefundentag. Ich hatte ihn übrigens bereits bei unserem ersten Date wegen seines mistigen Abgangs in Ibiza zum absoluten Arschloch erklärt und ihm mitgeteilt, auch ich hätte keine Sekunde mit dem Gedanken gespielt, dass diese Nacht am Strand auch nur im Ansatz eine Nuance von etwas Besonderem gehabt hätte. Schließlich erlebt man als attraktive Blondine (ahahahahaha, als ob ich mich je so sehen würde!) soetwas ja alle Tage, ha! Ha ha! Doch anstatt, dass er auf die billige Ebene einsteigen und mit einem Cool Water-triefenden Macho-Spruch à la „Hey Babe, ein Genießer geht eben dann, wenn’s am Schönsten ist“ kontern würde, sah er nur schweigend in seinen halbvollen Bierkrug und begann dann mit seiner Version vom mistigen Abgang. Er war damals mit Kumpels nach Ibiza geflogen und musste seinen bescheuerten besten Freund das ganze Wochenende auf dessen noch bescheuerteren Junggesellen-Abschieds-Sauftour durch sämtliche Strandbars und Sangria-Eimer begleiten. Als er die nächsten Tage immer wieder das gesamte Arial der Clubanlage vergeblich nach mir abgesucht hatte, ging er in guten Momenten davon aus, dass ich schon abgereist war, aber trotzdem wie er von einem baldigen Wiedertreffen träumen würde. War ich ja auch, tat ich ja auch! Aber er wusste ja nicht, wie ich hieß. Und ich wusste ja nicht, wie er hieß! An weniger rosaroten und sich mit der Zeit häufenden Tagen sah er allerdings der realistischeren Möglichkeit, dass ich ein oberflächliches Partyluder gewesen war, nur mit ihm gespielt und ihn längst vergessen hatte, ins Auge. Er hatte nach der Rückkehr von Ibiza zwei Prüfungen seines Medizinstudiums in den Sand gesetzt. Spätestens da sah ich mich gedanklich bereits im Brautkleid.

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