Eine Erzählung von und für Mamas

Mittwoch, 9. März 2011

5. Der neue Look

„Silbergraublond mit beigebräunlichen Strähnen irgendwie.“ „Etwa Ally McBeal??“ „Nein, nein, also Ally McBeal definitv nicht.“ Laura und Doro haben tatsächlich ihre Mittagspause geopfert, um sich live und in Farbe ein Bild vom Ausmaß meiner Haarkatastrophe zu machen. Ich sitze vor dem großen Spiegel in meinem Schlafzimmer und die beiden betrachten prüfend erst mein Haupthaar, dann mein Spiegelbild, dann wieder mein Haupthaar. „Die frühe Dido“, sucht Laura nach einer möglichst netten Beschreibung. „Also, halt mal was ganz anderes. Aber in keinem Fall schlimm oder so. Nur halt anders.“ fügt sie vorsichtig hinzu. „Gehe ich noch als Blondine durch?“ stelle ich die Frage, vor deren Beantwortung ich mich mehr fürchte als vor einem Date mit Hajo, dem Schleimer aus dem Showroom nebenan. Stille. Doro und Laura gucken sich an, gucken wieder meine Haare an. Zögern. „Ja, doch. Irgendwie schon.“ und „Klar!“ antworten dann plötzlich beide gleichzeitig. Ich fange an zu heulen. Zum vierten Mal, seit ich heute aufgewacht bin. „Pass auf, das ist einfach ein neuer Look. Andere Frauen wechseln dauernd ihren Look! Du müsstest halt nur deine Augen ein bisschen anders schminken, mehr so smokey, weißt schon. Und statt knalligen Sommerfarben mehr die herbstlichen Töne tragen!“ versucht jetzt auch Doro, mich aufzumuntern. „Das sieht dann super geheimisvoll und total feminin aus. Und schau mal, einen Pferdeschwanz kannst du ja immernoch machen.“ Mit beiden Händen rafft sie die viereinhalb längeren Strähnen an meinem Hinterkopf zusammen. Mit all den kurzen Fransen, die mir nach wie vor in die Stirn und über Ohren fallen, sehe ich jetzt aus wie ein schwangeres Double von Renate Künast. Auch Doro scheint die Zopfidee nicht wirklich zu überzeugen, sie lässt hinten wieder locker und wuschelt jetzt stattdessen von unten nach oben alles durch. „Schau, oder einfach mal mehr Volumen rein. Mit ein bisschen Schaum fixiert und schon bist du wieder ganz die freche Tinka!“ Ja, das gefällt mir schon besser. Laura war währenddessen im Wohnzimmer und kommt jetzt aufgeregt mit mehreren Zeitschriften in der Hand zurück. „Schaut mal, Gwyneth Paltrow trägt neuerdings auch eine dunklere Nuance! Und Sarah Connor hatte bei ihrem Comeback eine Frisur wie Nena in den 80ern! Total fransig! Die Aniston: ganz neu mit Bob! Und hier, auf den Laufstegen: Nur Naturblonde, nichts mehr mit Wasserstoff!“ Laura strahlt und legt ihre Fundstücke aufgeschlagen auf den Teppich. Langsam entspanne ich mich. Blättere interessiert in den Magazinen herum und fange sogar fast an, mich für den Bruchteil einer Sekunde über den neuen Look zu freuen. Mann, ich liege voll im Trend! Schaut her, ihr immergleichen Mainstreamweiber da draußen! Mut zur Veränderung! Mut zum Anderssein! Das muss man haben, ha! Ha ha!
Weil Doro und Laura nach eineinhalb Stunden erfolgreicher Betreuung wieder in ihr Berufsleben zurück mussten, bleibe ich allein mit meinem total hippen Look und einem Berg von Zeitschriften zurück. Ich kann gar nicht genug stöbern und kramte aus allen Winkeln der Wohnung (neben der Badewanne, unterm Bett und auf dem Fensterbrett in der Küche habe ich Ingos Ordnungsfimmel zum Trotz auch immer ein paar Glamours, Galas und Instyles liegen) alle verfügbaren Hefte zusammen. Fieberhaft stöbere ich den ganzen Nachmittag nach Stars mit fransiger Frisur (Sarah Connor! Kirsten Dunst! Michelle Williams!) und/oder natürlicher, eher dunkelsilberblonder Haarfarbe (Eva Padberg! Diane Kruger! Sarah Jessica Parker!). Gegen 19.45 Uhr liege ich erschöpft aber glücklich auf meinem Sofa. An der Wand über mir hängen die ausgesuchten Highlights meiner Aktion: Ein Catwalk-Foto, auf dem lauter silbergraublonde Schönheiten die neuesten Kreationen von Michael Kors präsentieren, eine Porträtaufnahme von Dido und zwei Bilder von Jennifer Aniston – vorher, nachher. Außerdem bin ich eben noch in die Drogerie an der Ecke gesaust und habe mir ein paar Basics für mein neues „geheimnisvolles“ Make-up besorgt: einen silbrigschimmernden sowie einen dunkelgrauen Lidschatten, anthrazitfarbene Wimperntusche (wirkt laut Glamour viel geheimnisvoller als Schwarz) und ein Rouge in einer warmen Terracotta-Nuance (schenkt einen gesunden Teint). Die Kleiderfrage konnte ich allerdings unmöglich heute noch lösen. Vor allem in Anbetracht der besorgniserregenden Lage auf dem Umstandsmodenmarkt. Aber die Sachen, die ich neulich mit Maike gefunden habe, könnten durchaus zu meinem neuen Look passen.

Erhobenen Hauptes betrete ich am nächsten Tag den Showroom. Meine Haare sind frischgewaschen und mit jede Menge Schaumfestiger zu einem nahezu perfekten Stylig drappiert, mein Augenaufschlag ist total geheimnisvoll smokey und mein Outfit überaus zufriedenstellend: Pflaumefarbener Stretchrock aus der letzten Kollektion von Bianca (dessen Gummibund ich wegen dem Sechsmonatsbauch direkt auf der Hüfte trage), weiße Wickelbluse von C&A-Mama (extralang geschnitten) und eine lange Baumelkette aus zartrosa Glasperlen. „Wie cool ist das denn?“ ist die erste Reaktion von Yvonne auf meinen neuen Look. „Tolle Haarfarbe, mal was anderes! So frühe Dido irgendwie, nicht schlecht!“ staunt sie. Ich strahle von einem Ohr zum anderen und wachse sofort zwei Zentimeter. Auch unsere Chefin, die ständig nörgelnde Cassandra, scheint positiv überrascht zu sein: „Liebchen, du siehst ja ganz anders aus! Aber ein bisschen mehr Pflege hätten sie dir schon reinmachen können.“ Das ist ihr einziger Kommentar? Wow, das ist durchaus als Kompliment zu bewerten. Mann, bin ich erleichtert! Dabei war ich mir gestern Abend noch so sicher, den Rest meines Lebens unter meiner blaugeblümten Ikea-Bettwäsche verbringen zu müssen.

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